Unsere Hunde sind sehr soziale Lebewesen. Wurden sie richtig sozialisiert, sind sie in der Lage, mit den verschiedensten Arten wie z.B. Katzen, Pferde, Vögel usw. friedlich zusammenzuleben. Kann ein Hund aber ein Mitglied eines menschlichen „Rudels“ sein?
Rudeln bilden sich in der Regel immer nur innerhalb einer Art. Hunde denken nicht wie wir Menschen, zeigen nicht das gleiche Verhalten und leben nach anderen Richtlinien und Werten als wir. John Fisher schrieb einmal: „Ich glaube wirklich nicht, dass Hunde uns als Hunde ansehen und deshalb konkurrieren sie auch nicht mit uns um die Position im Rudel.“
Unsere Hunde müssen nicht hungern und werden mental und körperlich gefordert. Somit gibt es keinen Grund, nach einer höheren Rangposition in ihrem „Rudel“ zu streben.
Es gibt viele Menschen die davon überzeugt sind, dass Hunde nach Dominanz streben.
Viele vergleichen dabei unsere Hunde mit deren Stammvater – der Wolf. Viele Wölfe, die erforscht wurden, lebten in Gefangenschaft. Ein Wolfsrudel, das in freier Wildbahn lebt, verhält sich teilweise jedoch sehr unterschiedlich. Woran liegt das? Wolfsrudel, die in Gefangenschaft leben, wurden wild „zusammengewürfelt“. Man stellt ein Rudel oftmals aus einander nicht bekannte Wölfe mit unterschiedlichem Alter, Geschlecht und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Da ist es nicht verwunderlich, dass da soziale Spannungen auftreten, insbesondere, wenn es ums Recht nach Fortpflanzung und Nahrung geht.
Ein wild lebendes Wolfsrudel ist ein Familienverband, bestehend aus den Elterntieren und deren Nachkommen, die auch gemeinsam an der Beute fressen - unabhängig von ihrer Stellung in der Rangordnung.
Wenn wir also unsere Hunde wirklich mit den Wölfen vergleichen wollen, sollten wir dann nicht das Verhalten eines in freier Wildbahn lebenden Rudels betrachten anstatt jenes eines in Gefangenschaft lebenden Rudels? Auch wenn unsere Hunde einige Verhaltensweisen zeigen, die auch bei Wölfe zu beobachten sind, bedeutet das nicht, dass wir das Verhalten von Hund und Wolf 1 zu 1 vergleichen können. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: der Hund ist kein Wolf!
Noch heute werden viele Hunde mit Verhaltensprobleme als „dominant“ bezeichnet. Noch heute gibt es viele Menschen, und leider auch viele Hundetrainer, die die vermeintlichen Verhaltensweisen von Wölfen nachahmen. Oftmals hört man dann Regeln wie „Zuerst isst der Mensch, erst dann darf der Hund fressen.“ oder „Der Hund sollte nie im Bett schlafen, denn der Alpha teilt sein Schlafplatz nicht mit den Rangniedrigeren.“ oder „Hunde, die an der Leine ziehen, sind dominant. Nur der Alpha führt das Rudel.“ oder „Lass den Hund niemals zuerst durch die Türe gehen, denn der Alpha hat das Privileg, als Erster zu gehen.“ usw. Oder man zwingt den Hund sogar mit Gewalt, sich zu unterwerfen, indem man ihn auf den Rücken wirft. In der Natur würde nur ein extrem aggressiver Hund einen anderen Hund umwerfen, und dies würde er sicher nicht mit freundlichen Absichten tun. Was meint ihr, wie euer Hund sich fühlt, wenn ihr ihn per Alpha-Wurf zu Boden befördert? Fördert oder schadet das der Mensch-Hund-Beziehung? Wohl eher das zweite.
Mal im Ernst: Was lernt der Hund dabei, wenn er uns immer hungrig beim Essen zugucken muss und selbst erst danach fressen darf? Nichts! Er ist nur frustriert und gestresst. Ich persönlich füttere den Hund lieber bevor ich esse. So ist er satt und zufrieden und ich kann in aller Ruhe essen. Wie gesagt, in freier Wildbahn lebende Wölfe fressen zusammen. Ist die Ressource knapp, fressen zuerst die Welpen. Eine Wolfsmutter, die 50% ihres Erbgutes an ihre Welpen weiter gegeben hat, würde auf Futter verzichten, um das Überleben ihrer Welpen zu sichern.
Was ist mit der Regel, dass ein Hund nicht im Bett schlafen sollte? Ist der Hund dominant, wenn er bei uns im Bett schläft? Nein. Für den Hund ist unser Bett einfach bequem, wie für uns auch. Ausserdem sehnen sich viele Hunde nach unserer Nähe. Ob der Hund im Bett schlafen darf oder nicht, muss jeder Hundebesitzer selbst entscheiden, das hat nichts mit Dominanz zu tun. Mein Hund darf nicht bei uns im Bett schlafen. Doch das hat einen ganz anderen Grund: Mein Hund verliert sehr viele Haare. Mein Bett wäre am Morgen also voller Hundehaare, was ich einfach nicht will.
„Hunde, die an der Leine ziehen, sind dominant“. Oder anders gesagt: „Hunde, die an der Leine ziehen, haben schlichtweg nicht gelernt, an lockerer Leine zu laufen.“ Das ist also eine Frage des Trainings und hat nichts mit Dominanz zu tun.
„Lass den Hund niemals zuerst durch die Türe gehen.“ Ein Hund, der vorstürmt, ist nicht Dominant, sondern möchte raus. Das kann sein, dass er sich einfach freut, Gassi zu gehen, oder er muss mal ganz dringend Pipi. Dominant ist er deswegen nicht. Je nach dem wo man wohnt, macht es allerdings Sinn, dass der Hund lernt, dass der Mensch zuerst durch die Tür geht, etwa, wenn man direkt an einer Strasse wohnt. Es macht auch Sinn, den Hund warten zu lassen bis er sich etwas beruhigt hat, wenn er generell sehr aufgeregt ist, wenn er raus darf. Mein Hund hat gelernt, dass er vor der Haustüre warten muss, da ich noch die Türe schliessen muss. Also schicke ich ihn sogar voraus, damit ich die Türe hinter mir zumachen kann und danach gehen wir gemeinsam weiter.
Wenn ein Hund z.B. das Sofa für sich beansprucht, dann hat das nichts mit Dominanz zu tun, sondern, es ist ein Ressourcenproblem. Selbst wenn man von nun an immer zuerst durch die Türe geht, wird der Hund immer noch aufs Sofa gehen. Selbst wenn der Hund sein Futter erst bekommt, nachdem wir gegessen haben, wird er trotzdem immer noch an der Leine ziehen.
Lasst euch von dieser Dominanztheorie nicht blenden! Wenn ihr ein Problem mit eurem Hund habt, dann dominiert ihn nicht, sondern erzieht ihn! Lehrt ihn, was er darf und was er nicht darf. Arbeitet an eurer Beziehung und schafft eine tiefe Bindung zu eurem Hund.
Ich sehe das so: Die Basis für eine glückliche Mensch-Hund-Beziehung ist Vertrauen. Euer Hund wird euch allerdings nie richtig vertrauen, wenn ihr ihn zur Unterwerfung zwingt und versucht, ihn zu Dominieren. Wir sind kein Rudel, wir sind ein Team! Gebt dem Hund das Gefühl, dazuzugehören und nicht, sich ständig unterwerfen zu müssen. Hunde, die sich ständig unterwerfen müssen und dominiert werden sind nicht glücklich. Und das ist doch genau das, was wir nicht wollen, oder? Wir wollen einen glücklichen, gut erzogenen Hund, der uns vertraut. Und das erreichen wir nur mit einer liebevollen und konsequenten Erziehung.
Wie sagt man so schön? Trainieren statt dominieren!
Meine Buchempfehlung (und Quelle) zu diesem Thema: Dominanz: Tatsache oder fixe Idee? von Barry Eaton
Comments